„Anstatt nur über kleine, gute Dinge zu lesen und sie auf Bildern anzustarren, fangen wir jetzt endlich, nach langer Pause wieder an, sie zu kochen, das Beste in uns selbst wiederzuentdecken und es festzuhalten.“ (Anthony Bourdain) |
Christine Kriegerowski befasst sich voller Appetit mit Lebensmitteln. Sie geht einkaufen, zeichnet, fotografiert und kocht. Hier stehen wir den gezeichneten und abgelichteten Ergebnissen gegenüber. In ihren aktuellen Obst- und Gemüsestilleben hält sie absonderlich aussehende Tomaten, Zucchini oder Pflaumen fest, schaut genau auf Knollen, porträtiert eigenartig verpackte Paprika oder schon verschimmelte Pithahayas – noch bunter als sie von sich aus sind.
Die Arbeiten mit Fleisch und Wurst sind älter, von 1996, sie gehen auf ein gemeinsames Projekt mit dem Autor Ulrich Schlotmann zurück, „die Häute und ihr Metall“. Kriegerowski illustrierte die geschlachtete Prosa mit ihren Impressionen von Wurst. Neben ganzseitigen Schnitten durch Zungenwurst, Grillschnecken und Würstchenhaufen entwickelte sie Wursthybride. Statt des Zipfels haben die eine Brustwarze – wo die Wurst doch männlich konnotiert ist. Eine hat sogar zwei Brustwarzen mit Piercings.
Die Kartoffelzeichnungen sind für den Comic „Atomreligion“ entstanden, der Künstler Karl Heinz Jeron, einer der Koautoren, machte damals Musik mit Gemüse. Im Comic ist sein Bauplan für ein Musikinstrument mit Erdäpfeln abgebildet.
Christine Kriegerowski experimentiert mit Verpackungen. Bananen zieht sie Netzstrumpfhosen an, was typischerweise als erotisierend gilt, funktioniert das auch bei der Deutschen liebstem Obst? Werden die bestrumpften Lebensmittel zu Chiffren für den weiblichen Körper oder zu Punks – Ausgerechnet Bananen? Sie knüpft eine Aufhängungsvorrichtung aus Makramée für Zucchini und dokumentiert zeichnerisch und fotografisch.
Jetzt sind die twerkenden (twörkenden) Auberginen dran. Da haben wir endlich unser Paradox. Den Scheinwiderspruch. Die Aubergine ist ja bekanntlich das Emoji für Penis. Wir fragen uns warum, Gemeint ist die eher längliche asiatische Aubergine. Nicht unsere Eierfrucht.
Bei Paradox fällt mir Kaffee Keese ein. Erinnert ihr euch an den Ball paradox? Das Online Lexikon „www.lechzen.de“ (Motto: Lechzen wir nicht alle nach Liebe, Erotik & Sex?) erklärt ihn so: „Eine Tanzveranstaltung, bei der die Damen die Herren auffordern durften. Meist eine sehr erotische Angelegenheit, weil die meisten Damen recht willig waren, mit den Tanzpartnern später das Bett zu teilen.“ Man könnte meinen, die nicht ganz geraden Nachtschattengewächse bewegten sich „in sexuell provozierender Weise mit stoßenden Hüftbewegungen und einer tiefen, hockenden Haltung“.
Hier könnte ich noch über den milchsauer fermentierten Spargel nachdenken, haltbar gemacht nach Art des Sauerkrauts. So eine – jetzt tatsächlich – an einen Penis erinnernde Konserve könnte dem empfindsamen Betrachter ein wenig Angst machen. Aber es ist doch Präsentation, ein Experiment mit Gemüse. Eine Feier seiner schönen Form, die es lohnt, bewahrt zu werden.
Der Koch Antony Bourdain (Burdejn) denkt in einem Essay von 2001 in New York, kurz nach dem Trauma des 11. September über Fresspornografie nach und legt am Ende, unter Schock, Wert auf das Heilende und Lindernde des Essens: „So wie wir in den 50ern nur über Sex lasen, und uns in den 60ern, 70ern und frühen 80ern seinen Freuden hingaben, nähern wir uns vielleicht auch jetzt einem Scheideweg: Anstatt nur über kleine, gute Dinge zu lesen und sie auf Bildern anzustarren, fangen wir jetzt endlich, nach langer Pause wieder an, sie zu kochen, das Beste in uns selbst wiederzuentdecken und es festzuhalten.“
Wir sollten nicht pathetisch werden oder mit dem Spielen aufhören. Bourdain sagt an anderer Stelle „Ohne zu experimentieren, die Bereitschaft, Fragen zu stellen und neue Dinge auszuprobieren, werden wir sicherlich statisch, repetitiv und sterben“
Und passt mir auf diesen Planeten auf, hier gibts Blutwurst und andere leckere Dinge ohne Zahl.